In dem Podcast "was verrät die Maske über die politische Überzeugung" fragt der Publizist Jakob Augstein ratlos nach dem "Linksdivide" in der Krise; speziell danach, warum sich Linke mehr als Konservative vor dem Virus fürchten und warum die Linken die schärfsten Befürworter von Maske und Lockdown sind. Es verwundert ihn, weil diese Massnahmen viel Armut schafften und doch gerade die Linken eigentlich für die Verlierer der Gesellschaft eintreten (müssten?)
 
Sein Kollege Fleischhauer drückt mit sehr viel Worten auch nur aus, dass er es letztlich auch nicht weiss und Augstein wundert sich, dass ihm das niemand bisher beantworten konnte.
 
Nun, dem Notstand kann abgeholfen werden. So schwer ist das gar nicht.
 
Dass die linke Hälfte des politischen Spektrums um einiges mehr verängstigt ist, ist nämlich nicht die einzige Merkwürdigkeit in der Lagerbildung rund um Corona. Irgendwie auch rätselhaft könnte scheinen, wieso eine ganze Menge eher rechtsorientierter alternativer Medienkanäle auf das Schärfste den Einfluss von mächtigen Kapitallobbys auf die Politik kritisiert. Das tut sie nämlich, wenn sie immer wieder vor dem Einfluss von Bill Gates warnt.
Und Linke schnell dabei sind, den besagten Bill Gates und die Pharmaindustrie vor diesen Attacken in Schutz zu nehmen und die Kritiker mit den schärfsten verbalen Ergüssen zu geisseln.

Das ist doch eine totale Verkehrung aller Trennlinien zwischen Links und Rechts, wie sie seit annähernd zwei Jahrhunderten definiert sind. Oder?
 
Am Anfang der Coronakrise war das noch keineswegs klar. Als der politische Mainstream auf den Lockdown zuruderte, befasste sich die rechtsradikale AFD noch mit ihrem Lieblingsfeind, dem Ausländer. Corona interessierte sie marginal und keineswegs war sie im Geschäft der Kapitalkritik unterwegs.
Den Umschwung brachte in Deutschland der - ins Links-Rechts-Schema nicht einzuordnende - Ken Jebsen mit seinen Enthüllungen über Bill Gates und dessen Einfluss auf Politik und Behörden.
 
Für diejgenigen Zeitgenossen mit konservativem oder bürgerlichem Selbstverständnis war das nicht so besorgniserregend. "Der Markt regelt das" ist sowieso ihr Credo, ihre Kanzlerin ist bekanntermassen mit einem Pharma-Lobbyisten verheiratet, ihr Gesundheitsminister ist einer und beide zusammen haben das RKI in die Einflusszone der Pharma-Stiftungen gebracht. Wie sie es überall sonst auch tun. So what?
 
Aber links ist das nicht...
Noch wenige Monate vor Corona trafen sich Bundestagsgeordnete von SPD, Grünen und Linken zu einem alternativen Kongress, der den problematischen Einfluss von privaten Stiftungen auf die Gesundheitspolitik thematisierte. Eine Facette von Neo"liberalität", Privatisierung und Konzerndemokratie, gegen die sie seit langem nur noch symbolisch kämpfen, mit der sie sich in Wirklichkeit aber still arrangiert haben. Doch: in Widerspruch zu ihrem Selbstbild.
 
In Corona ist nun zum herrschenden Meinungsdiktat aller etablierten politischen Strömungen geworden, dass nur Lockdowns helfen könnten, hilfsweise vielleicht Masken und natürlich "der Impfstoff".
Das Lager, das von Natur aus damit mehr als Probleme haben müsste, ist das linke. Private Konzerne und ihre Besitzer, auf die der Staat in ihrem Handeln keinen realen Einfluss mehr hat und haben kann, können darüber entscheiden, was Milliarden Menschen in die Venen gepumpt bekommen. Es geht jetzt ganz leicht für sie - Stichwort "verkürzte Zulassungsverfahren".
 
Eigentlich könnte es Angst machen...
 
Und das macht es auch. Nur: muss es verdrängt werden. Denn: sich vor dem Virus fürchten. Und auch vor der Hilfe dagegen zugleich - das geht nicht wirklich zusammen. Wo der Bürgerlich-Konservative nur die Angst vor dem - inzwischen ja bekanntlich maximal mässig gefährlichen - Virus haben muss, muss der Linke diese Angst haben und zugleich auch noch Angst vor der Impfung.
Und wenn er darüber hinaus weiterdenkt: der Macht des Kapitals über ihn. Die er seit Hartz IV erfolgreich zu verdrängen gelernt hat. Die Armut von Hartz IV trifft ja nur Faule oder Dumme. Und faul oder dumm ist der linke Akademiker ja nicht.
Doch diesmal trifft es nicht nur die Faulen und Dummen, sondern jeden. Auch ihn. Welche gewaltige Macht hat das Kapital inzwischen errungen...
 
Aber: wo Licht ist, ist auch Schatten. Bei der Verdrängung dieser düsteren Bilder helfen kann ein Gefühl von Geborgenheit unter vielen anderen. "Solidarität" nennen Linke das. Und Solidarität wurde im Lockdown unendlich beschworen. Von Linken natürlich, von wem sonst? An welcher Brücke in Kreuzberg und Neukölln hing denn kein Transparent mit Parolen wie "keiner darf zurückgelassen werden"?
Gegeben hat es sie natürlich nie, diese Solidarität. In Berlin wurde fleissig zwangsgeräumt. Und die 10.000 schon geräumten Obdachlosen der Metropole hatten es im Lockdown übler als je zuvor, wo doch alle Sozialarbeit geschlossen hatte, alle Initiativen zuhause blieben oder sicheres Homeoffice gemacht haben. Von dem Elend der Dritten Welt im Lockdown ohne Coronazuschüsse und Kurzarbeitergeld nicht zu reden.
 
Doch: man ist als Linker nicht obdachlos und nicht in der Dritten Welt. Man hat eine sichere Wohnung, einen sicheren Job im öffentlichen Dienst auf Akademiker-Niveau. Und in dieser Lage geniesst man die Illusion, dass alle zusammenhalten und sich um einen kümmern würden, wenn es einen treffen könnte, dieses gefährliche Virus.
 
Linke lieben das. Das ist so wie im Lagerfeuer im linken Jugendcamp. Mit Gitarre und Liedern vom Klassenkampf. Nur viel, viel grösser und viel schöner, jetzt wo endlich mal alle zusammenhalten! Zeigt eure Fahne, zeigt die Maske - das Zeichen der grossen Internationale der Liebe und Solidarität (mit mir)!
 
Endlich das nach 30 Jahren neoliberaler Vereinzelung!
 
Die Phantasien und Phantastereien von allem, was sich jetzt endlich ändern werde, schiessen in den sozialen Medien der Linken ins Kraut. Die Umwelt wird jetzt endlich gerettet und der Sozialismus kommt! Ob Youtube-Kanäle, Freitag oder taz - jetzt ist die grosse Zeit der guten alten Welterlösungspläne. Unter Führung der Milliardäre können sie jetzt endlich realisiert werden.
 
Da ist man doch etwas entschädigt für die grosse Angst. Und wenn man vergisst, dass es die Solidarität nicht gibt, dass die Armut grösser ist als je zuvor, dass die Konzerne bedient werden und sich bedienen - nun sogar unmittelbar am Körper von Menschen - dann kann man es weiter aushalten.
 
Die Angst vor Corona selbst ist eigentlich relativ erträglich im Vergleich zu dem, vor dem man sich fürchten müsste, wenn diese wunderschöne Solidaritätsblase zerplatzen würde. Besser man erhält sie am Leben, bevor es dazu kommt.