Mit dem Ende des Sommers rückt auch in Schweden der Schulanfang in die Nähe. Bereits am 15. Juni hatte die Volksgesundheitsbehörde die Empfehlung zur Schulschliessung aufgehoben. Eine Entscheidung mit langer Frist zur Umsetzung, typisch für die vorausschauende schwedische Strategie.

Auf der Pressekonferenz im Volksgesundheitsamt am 11. August loben ein Vertreter der Schulbehörde und des Städtebundes ausdrücklich die Schulen und die Lehrerschaft dafür, dass sie bei den Schülern soviel Bewusstsein für die Gesundheitsgefahren und die nötigen Massnahmen geschaffen hätten. Anlass genug, sich an der Basis umzuhören.

Viktualia, Annika, Karlsson und Lindvald gehören zu einer Clique Jugendlicher, die zu siebt den Stadtbezirk Alvik im Westen von Stockholm unsicher machen. In der Fernunterrichtszeit und den Sommerferien kann man sie in den grünen Parks und am Strand des Mälarsees finden, der die Hauptstadt durchzieht und so lebenswert macht.

Da die Sommerferien langsam zuende gehen und nächste oder übernächste Woche die Schule beginnt, haben sie es sich im Park gemütlich gemacht und sitzen oder liegen aneinandergekuschelt in der prallen Augustsonne, während sie das Interview geben, zu dem Karlsson mit einem herzlichen Händedruck begrüsst. Sie sind alle 15 bis 16 Jahre alt, haben die neunte Klasse an verschiedenen Grundschulen hinter sich und stehen nun vor dem Wechsel auf das Gymnasium, das mit der Klassenstufe 10 beginnt.

Mehr als Corona beschäftigt sie die Frage, in welche Schule sie überhaupt kommen, denn wie Lindvald erläutert, wird das recht kurzfristig entschieden. Er selbst hat sich an mehreren Schulen angemeldet und weiss noch nicht sicher, ob er seine erste oder zweite Priorität zugewiesen bekommt oder eine der nachrangigen Optionen mit einem für ihn nicht so interessanten Profil, denn er möchte in die Naturwissenschaften. Ähnlich unsicher ist es auch bei den anderen.

Die Pandemie, die die Welt der Lockdownländer in Atem hält, ist für sie eher schon ein Thema der Vergangenheit, ja vor den Ferien war Corona nur für einige Tage Thema in der Schulorganisation ihrer Grundschule, die in Schweden erst mit der 9. Klasse endet. In der Mensa waren Markierungen auf dem Fussboden angebracht worden, um sicherzustellen, dass die Abstände eingehalten werden, erinnert sich Viktualia. Aber in den Klassenräumen war das nicht möglich, dafür hätten ihnen die Lehrer zu Beginn eines Schultages “die Vorsichtsregeln des Volksgesundheitsamtes ausführlich erläutert und anschliessend Handdesinfektionsmittel an alle Schüler ausgegeben” und Lindvald wirft ein “und dann angehängt, dass sie uns das jetzt gesagt hätten, weil der Rektor das eben wollte” und alle wiehern los, weil es genauso auch bei ihnen auch gewesen sei.

“Am lustigsten war es”, steuern Annika und Karlsson, die in derselben Klasse waren, dann bei mit der Diskussion von Corona in der Klasse. Sie war bei Karlssons Lieblingslehrer und vor allem deswegen so amüsant, weil er selbst “glaubt, dass Corona nur ein Vorwand sei, um das Projekt 5G zu verbergen”, worauf alle köstlich lachen. Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob das nicht eine Verschwörungstheorie sei? Und alle müssen gleich nochmal los lachen, Karlsson hakt da direkt ein: “ja klar! Er hat wirklich eine Menge Verschwörungstheorien auf Lager” und Annika setzt fort: “deswegen macht es so Spass, mit ihm zu reden. Er ist wirklich ein wahnsinnig toller Lehrer”.

Reden mit Verschwörungstheoretikern macht Spass? Wie kann das sein? War es vielleicht, weil das Klima tolerant und fair war, so dass alle ihre Meinungen und Gefühle ausdrücken konnten?

Annika muss verschmitzt lächeln:“Richtig! Das trifft es wirklich gut!” und Karlsson nickt.

Und die anderen Lehrer? Annika und Viktualia diskutieren miteinander und kommen zum Schluss: “Nein, es gab ausser dem Direx aus dem ganzen Klüngel [der Lehrer, Anm. d. Redaktion] eigentlich nur einen, der sehr konservativ war und wohl wirklich Angst hatte. Der bestand darauf, dass die Klasse geteilt und in zwei Räumen unterrichtet würde, damit die Abstände eingehalten werden können”.

Ansonsten schlich sich bald eine Routine ein, in der man auf diesen einen Lehrer und den Direx eben Rücksicht nahm und dann einen weiten Zwei-Meter-Bogen machte, ansonsten ging es nach ein paar Tagen bis in den April in der Schule wieder zu wie normal, zumal “die Lehrer sich ja selbst nicht an die Regeln gehalten haben”, verteidigt Annika die laxe Routine.

Ob sie einverstanden sind mit dem recht zurückhaltenden Vorgehen der Schule? “Nun, es sterben ja Menschen an Corona. Aber das sind ja vor allem Alte”, räsoniert Annika “uns junge Leute betrifft das doch gar nicht. Also wovor hätten wir Angst haben sollen?” und dazu nicken alle, die rundherum im Gras sitzen oder liegen.

Corona wird vor allem zum Thema, wenn die Senioren ins Spiel kommen. Was angesichts der Zahlen kein Wunder ist. Die akkurate Statistik des Volksgesundheitsamts zeigt in übersichtlicher Grafik, dass Corona-Tode sich erst ab der Altersgruppe 50 zeigen und erst in den 70er Lebensjahren relevant werden.

Alle haben die Kontakte zu ihren Grosseltern im Vergleich zur Zeit vor Corona reduziert, dabei ganz den Empfehlungen der Volksgesundheitsbehörde folgend.

Manchmal sorgt das für Verstimmung, gerade auch bei den Grosseltern, die sich mehr Kontakt wünschen, Viktualias Grosseltern, die einige Stunden Fahrzeit von der Grosstadt entfernt wohnen, hätten sich innig gewünscht: “ach bitte, kommt uns doch diesen Sommer wieder besuchen”, aber sie möchte auf keinen Fall riskieren, dass sie die geliebten Grosseltern womöglich ansteckt.

Die Grosseltern, sagt sie, kümmerten sich keinen Deut um die Krankheit, weil sie einfach keinen kennten, der daran erkrankt und gestorben sei. Doch sie selbst will eben kein Risiko eingehen. Annika nickt, weil es bei ihr genauso sei. Und auch die anderen schliessen sich da an.

Wenn Annika ihre Grossmutter treffe, dann immer, indem sie den Mindestabstand einhält. Offenbar ist die Stimmung dabei gedrückt, man fragt besser nicht weiter nach.

Dass die Senoren gefährdet sind, ist allen bewusst. Und so hat man es zur Gewohnheit gemacht, den Mindestabstand auf jeden Fall zu beachten, wenn man ihnen begegnet: “wenn mir alte Leute entgegen kommen und es eng wird, weiche ich auf die andere Strassenseite aus”, sagt Annika und freut sich, wenn sie ihr dafür zulächeln. “Mir hat sogar schonmal eine alte Frau zugerufen, dass sie mir sehr dankbar ist, dass ich so Rücksicht auf sie nehme”.

In den Familien der sieben jungen Leute ist in den vergangenen Wochen Corona erst wieder als grosses Thema zurückgekehrt, weil die Urlaubspläne wackelig wurden oder ins Wasser fielen. Lindvalds Vater hat einen von Spanien verlangten Corona-Test gemacht und konnte damit doch noch in den Urlaub fliegen, sein eigener fiel aus. Er hatte ursprünglich an einem zweiseitigen Schulaustausch nach Deutschland an eine Schule mit Schwedisch-Unterricht an der Ostsee teilnehmen wollen, den die deutsche Partnerschule dann jedoch leider abgesagt hatte.

Annikas Familie hatte Natururlaub in Norwegen machen wollen, doch Norwegen hat eine unerbittliche Einreisepolitik gegen Schweden verhängt. Und so hat die ganze Clique den Sommer dann doch gemeinsam am Strand von Stockholm verbracht.

Skriv en kommentar
Namn*
E-postadress*
Blogg-adress